Stromlücke: Großbritannien schließt letztes Kohlekraftwerk – Ende einer Ära nach 140 Jahren
Großbritannien will nach den Plänen der Regierung bis 2050 das Netto-Null-Emissionsziel in allen Sektoren der britischen Wirtschaft erreichen. Dabei setzt das Land auf einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien, aber auch auf Atomkraftwerke. Doch weil AKW-Abschaltpläne und die AKW-Neubaupläne nicht passen, zeichnet sich eine Stromlücke zum Ende des Jahrzehnts ab. Ob es soweit kommt, hängt am Ende vom Ausbautempo der Erneuerbaren Energien und vom Bau neuer Stromverbindungen mit den Anrainerstaaten ab.
Ende der Stromerzeugung: Uniper-Kohlekraftwerk Ratcliffe-on-Soar schließt endgültig
Nach mehr als 140 Jahren geht in Großbritannien die Ära der Kohleverstromung zu Ende. Das Uniper-Steinkohlekraftwerk Ratcliffe-on-Soar in der Grafschaft Nottinghamshire wird heute (30.09.2024) um Mitternacht offiziell endgültig abgeschaltet. Das Kraftwerk mit einer Leistung von zuletzt 2.000 MW ging mit dem ersten Block im Jahr 1967 in Betrieb, die Blöcke 2,3 folgten jeweils ein Jahr später, im Jahr 1970 erreichte die Kapazität mit Block 4 die heutige Gesamtleistung.
„Dies wird das erste Mal seit 1882 sein, dass Großbritannien nicht von Kohle angetrieben wird. Indem wir dieses Kapitel abschließen, ehren wir das Erbe von Ratcliffe und die hier arbeitenden Menschen, während wir gleichzeitig die Zukunft der sauberen und flexiblen Energie begrüßen. In diesem Zusammenhang will Uniper in Technologien wie CCS, erneuerbare Energien und Wasserstoff investieren. Ziel ist es, unsere verbleibenden Energieanlagen zu dekarbonisieren und unseren Kunden kohlenstoffarme Brennstoffe sowie grüne und zuverlässige Energie zu liefern“, sagt Micahel Lewis, CEO von Uniper.
Großbritannien schließt alle Atomkraftwerke bis 2028 - nur Sizewell B bleibt erhalten
Nach der Schließung des letzten Kohlekraftwerks werden bis 2028 auch fast alle alten Atomkraftwerke abgeschaltet. Geplant ist nach dem aktuellen Stand die Stilllegung von insgesamt acht britischen AGR-Atomkraftwerken. Das Atomkraftwerk Torness (2 Blöcke) soll 2028 endgültig vom Netz gehen, Heysham 1 mit zwei Blöcken im Jahr 2026 und Heysham 2 ebenfalls mit zwei Blöcken im Jahr 2028. EDF hatte die Betriebsdauer u.a. auch für das Atomkraftwerk Hartlepool mit zwei Blöcken um zwei weitere Jahre verlängert, endgültig stillgelegt werden soll das Kernkraftwerk Hartlepool danach im Jahr 2026.
Die Stromerzeugung in Großbritannien erreichte 2023 insgesamt 310 Mrd. kWh, davon entfielen 37,3 Mrd. kWh auf Atomkraftwerke, aber bereits 82,3 Mrd. kWh auf die Windenergie.
Bau des Atomkraftwerks Hinkley Point C verzögert sich und wird teurer
Großbritannien setzt trotz der Abschaltungswelle alter AGR-Atomkraftwerke nach dem derzeitigen Stand auch weiterhin auf die Kernenergie. Nach den Stilllegungen bis 2028 ist bis zur Fertigstellung des Ersatz-Atomkraftwerks Hinkley Point C nur noch das Atomkraftwerk Sizewell B mit einer Bruttoleistung von 1.250 MW in Betrieb.
Wann das Atomkraftwerk Hinkley Point C mit den zwei Blöcken den Betrieb aufnehmen kann, ist allerdings weiterhin unklar. Ursprünglich war geplant, dass Hinkley Point C mit einer Bruttoleistung von 3.280 MW (2 Einheiten C1 und C2 mit je 1.640 MW) im Jahr 2027 die Stromproduktion mit dem ersten Block C1 aufnimmt, im Jahr 2028 sollte Block 2 folgen.
Soweit der Plan. Im Januar 2024 hatte der französische Energiekonzern EDF dann eine neue Kosten- und Bauzeitschätzung für die Fertigstellung des britischen Atomkraftwerks Hinkley Point C mitgeteilt. Danach würde – nach der aktuellen Verschiebung - im günstigsten Szenario die Inbetriebnahme von Block C1 im Jahr 2029 erfolgen, es könnte laut EDF aber auch das Jahr 2031 sein. Block C2 folgt dann danach.
Im Ergebnis passt der Abschaltplan der alten AGR-Atomkraftwerke bis 2028 und der Plan für die Inbetriebnahme des Ersatz-Atomkraftwerks Hinkley Point C nicht mehr zusammen.
Weitere Atomkraftwerks-Neubauten sind in Großbritannien zwar angedacht, aber keines der neuen Projekte befindet sich in der Bauphase. Mit Sizewell B (1.250 MW) und der Inbetriebnahme von Hinkley Point C (3.280 MW) erreicht die AKW-Leistung insgesamt nur rd. 4,5 GW (4.500 MW). Bei Bauzeiten von 10 – 15 Jahren für ein Atomkraftwerk wird die Zeit sehr knapp bzw. es scheint derzeit unmöglich, bis 2050 eine Kernenergiekapazität von 24 GW (24.000 MW) in Großbritannien zu erreichen.
Großbritannien: Energieversorgung der Zukunft basiert auf Erneuerbaren Energien
In Zukunft steht zur Erreichung des Netto-Null-Emissionsziels auch in Großbritannien der massive Ausbau der Erneuerbaren Energien auf dem Programm. Laut einem Bericht der Financial Times (04.09.2024) wird in der Projektion der Anteil der Erneuerbaren Energien in Großbritannien bis 2050 danach auf 83 Prozent ansteigen.
Die nächsten Ausbauziele in Großbritannien beziehen sich auf das Jahr 2030. Bis dahin soll z.B. die britische Offshore Windenergie auf eine Leistung von bis zu 50 GW (50.000 MW) ausgebaut werden, davon 5 GW (5.000 MW) schwimmende Windturbinen (Floating Offshore). Ende 2023 waren in Großbritannien Offshore Windkraftanlagen mit einer Leistung von knapp 15.000 MW in Betrieb.
Parallel zum Ausbau der erneuerbaren Energien sollen neue Stromverbindungen zwischen Großbritannien und seinen Nachbarländern die Versorgungssicherheit gewährleisten. Zuletzt ist Ende 2023 der Viking Link in Betrieb gegangen, eine 765 km Hochspannungs-Gleichstromverbindung mit einer Leistung von 1.400 MW zwischen Großbritannien und Dänemark. Auch eine Direktverbindung zwischen Deutschland und Großbritannien ist aktuell im Bau. Die Unterwasser-Stromverbindung NeuConnect (1.400 MW) soll 2028 in Betrieb gehen.
© IWR, 2024
Offshore Windenergie-Newsticker Großbritannien
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